Magdeburger Justiz knickt vor Gorleben-Gegnern ein
Sachsen-anhaltinischer Umweltminister hat das „Ruder herumgerissen“ und
setzt auf Kooperation mit den Einwendern
Magdeburger Justiz knickt vor Gorleben-Gegnern ein
Am 13. Juni erhielten die Bäuerliche Notgemeinschaft und die BI Lüchow Dannenberg überraschend von den Verteidigern die Nachricht, dass die Prozesse gegen Aktivisten und Aktivistinnen des Anti-Atom-Trecks eingestellt wurden. Somit seien die für Freitag, den 14.06.13 und Montag, den 17.06.13 angesetzten Prozesse in Magdeburg abgesetzt worden. Die Verfahren gegen alle Angeklagten der Prozessreihe wurden gegen eine Spende zugunsten der Fluthilfe eingestellt. Aus den Kreisen der Verteidigung war zu entnehmen, dass über diesen Ausgang allgemeine Zufriedenheit herrscht, schreibt Wolfgang Ehmke, der Pressesprecher der Gorlebener Bürgerinitiative.
Neben der BI Lüchow-Dannenberg hatten sich mehrere Medienvertreter angesagt, die über den Prozess um Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte berichten wollten. Die BI Lüchow-Dannenberg wollte vor dem Gericht eine Solidar-Kundgebung abhalten und hatte erneut einen Treckeraufmarsch angekündigt. Zunächst hat die Hochwasserkatastrophe am Montag dem 10. Juni den Prozessauftakt verhindert. Die Verteidiger der Angeklagten hatten dem Gericht mitgeteilt, sie wollten lieber den Hochwassergeschädigten Hilfe leisten und würden den Termin nicht wahrnehmen. Das Gericht hatte Verständnis gezeigt und dem Fernbleiben zugestimmt. Die „Vergehen“ sind mit Haftstrafen bis zu drei Jahren bedroht.
Im September 2009 veranstaltete die Bäuerliche Notgemeinschaft und die BI Lüchow Dannenberg, im Vorfeld der Bundestagswahl einen Treck von Gorleben nach Berlin. Unter dem Motto „Mal richtig abschalten“ führte der Weg über die zur Zeit als Endlager geltenden Einrichtungen, die alle näher in Augenschein genommen werden sollten. So auch am Morgen des 3.September 2009 das Endlager Morsleben bei Helmstedt. Wie Gorleben wurde auch Morsleben aus politisch-strategischen Gründen zum Endlagerstandort erwählt, liegen doch beide Orte diesseits und jenseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, schildert ein Teilnehmer den Protestmarsch.
Wie auch in Gorleben ist die „sichere“ Einlagerung nicht möglich! Auch Morsleben ist für die Endlagerung erwiesener Maßen ungeeignet. Im Gegensatz zu Gorleben ist in Morsleben allerdings schon 36953 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktives Material eingelagert. Grund genug, um mit einem Besuch vor Ort auf die Problematik aufmerksam zu machen, heißt es in dem Bericht weiter.
Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) wurde 1971 im ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk Bartensleben (Landkreis Börde, Sachsen-Anhalt) eingerichtet. Heute wird die Schachtanlage von der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz betrieben.
Dort angekommen, wurden die Treckteilnehmer/innen von z.T. behelmten und vermummten Beamten der Bereitschaftspolizei Magdeburg erwartet. Unter massivem Einsatz von Pfefferspray und auch von Hunden und Inkaufnahme von vielen Verletzten, wurde die Demonstration vor dem Endlager in Morsleben gewaltsam beendet. Auch am Rande des Geschehens vor dem Tor, zeigten die Einsatzkräfte Interesse an einzelnen Demonstrierenden und versuchten derer mit Pfefferspray und einer gezogenen Schusswaffe habhaft zu werden, berichtet der Teilnehmer.
Verantwortlich waren der damalige Innenminister Holger Hövelmann und sein Staatssekretär Rüdiger Erben (beide SPD). Am 8. Oktober 2010 erklärte Erben öffentlich, sein Amt als Staatssekretär niederzulegen, sich künftig mehr der Kommunalpolitik zu widmen und am 7. November 2010 für das Bürgermeisteramt von Teuchern kandidieren zu wollen, bei dem er scheiterte. Seine Tätigkeit als Staatssekretär soll Erben nach Insiderberichten äußerst eigenwillig wahr genommen haben.Ob Hövelmann oder Erben den masiven Polizeieinsatz angeordnet hat, ist bis heute nicht bekannt.
Über Erben berichtete die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung (MZ) im Dezember 2010: „Bei der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg sei eine Strafanzeige eingegangen, wie die «Magdeburger Volksstimme» (Donnerstagausgabe) schreibt. Absender der E-Mail, die am Dienstagabend zeitgleich an den Landtag und die Generalstaatsanwaltschaft gesandt worden sei, sei Kriminalpolizist Swen Ennullat. In dem Schreiben weise er auf sich widersprechende Aussagen von Erben und Liebau im Untersuchungsausschuss hin. Beide seien zwar nicht vereidigt worden, dies sei aber «unerheblich, da sie sich bereits strafbar gemacht haben könnten», schreibt Ennullat. Er und zwei seiner Kollegen waren von ihrem Chef in ihrer Arbeit gegen den Rechtsextremismus gebremst worden und verloren, nachdem sie sich gewehrt hatten, ihre Posten. Klaus Tewes, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, habe den Eingang des Schreibens bestätigt, schreibt die Zeitung weiter. «Das Schreiben ist an uns nur als Kopie gegangen. Wir fassen es deshalb noch nicht als Strafanzeige auf.» Tewes sagte, das Schreiben werde an die Staatsanwaltschaft Magdeburg weitergeleitet, die dann über die Einleitung von Ermittlungen entscheide. Falschaussagen in einem Untersuchungsausschuss könnten mit drei Monaten bis fünf Jahren Haft bestraft werden.“
Inzwischen hat auch der sachsen-anhaltinische Umweltminister, Hermann Onko Aeikens, das „Ruder herumgerissen“ und setzt auf Kooperation mit den Einwendern. Detlef Thiel, Sprecher des Ministeriums in Magdeburg teilt auf Anfrage mit, das Planfeststellungsverfahren zur Stilllegung des ERAM wird mit der Prüfung der Antragsunterlagen fortgeführt. Nach dem Erörterungstermin im Herbst 2011 mit dem Antragsteller Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und Einwendern sagte BfS zu, die endgültigen Genehmigungsunterlagen dem MLU zur Prüfung vorzulegen. Bei allen Fachprüfungen werden die Ergebnisse des Erörterungstermins einbezogen. BfS hat mit einer Gruppe von Einwendern seit dem Erörterungstermin drei Befahrungen des Endlagers unter Teilnahme des MLU durchgeführt, eine weitere Befahrung fand am 29.5.2013 statt.
Nach Einstellung der Salzförderung wurde das Salzbergwerk Bartensleben von der damaligen DDR-Regierung als Endlager für radioaktive Abfälle ausgewählt. Ferner wurden in der Schachtanlage Marie unter Tage Hühner gehalten (den Tieren konnte durch geschicktes An- und Abschalten des Lichtes ein um etwa eine Stunde kürzerer Tag vorgetäuscht werden, wodurch diese schneller wuchsen) und Härtereialtsalze zwischengelagert, die Mitte der 1990er Jahre wieder ausgelagert wurden.
Die Entscheidung des damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht (CDU und Vater der jetzigen Arbeitsministerin von der Leinen), für den Standort eines bundesdeutschen Endlagers für radioaktive Abfälle bei Gorleben war eine offenbar politische Entscheidung im innerdeutschen Kalten Krieg. Da das DDR-Endlager Morsleben direkt an der niedersächsischen Grenze lag, glaubte man mit gleicher Münze mit dem Standort Gorleben zurückzahlen zu müssen. So erinnert sich der mit der Vorbereitung der Entscheidungen befasste Geologe Gerd Lüttig, der damals Vizepräsident des Niedersächsischen Amts für Bodenforschung war. Das Motiv Albrechts für die Standortwahl war, so Lüttig, „die Ostzonalen richtig zu ärgern.“
Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) ignorierte in den 1990er Jahren Expertenwarnungen in Zusammenhang mit dem unsicheren Atommülllager Morsleben in Sachsen-Anhalt. Schon vor der Wiedervereinigung bezweifelten mehrere Gutachter die Standsicherheit der früheren Salzgrube. Auch Mitarbeiter des Bundesamtes für Strahlenschutz und die Regierung von Sachsen-Anhalt hielten die Anlage schon in den 1990er Jahren nicht für geeignet, dauerhaft Atommüll zu lagern.
Merkel habe aber in einem Schreiben vom 8. Juni 1995 an das Landesumweltministerium versichert, es gebe „kein Sicherheitsdefizit“ und sich eine weitere Einmischung von Landesseite verbeten. Laut Spiegel soll Merkel am 9. September 1997 trotz Bedenken des Landes angeordnet haben, dass Atommüll-Fässer bis zu 1100 Kilogramm in die Grube eingebracht werden durften. Dem Bericht zufolge ließ Merkel erklären, sie habe sich „bei der Bewertung auf die Erkenntnisse der fachlich zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Strahlenschutz gestützt“. 1998 versuchte die damalige Umweltministerin Angela Merkel eine Novelle des Atomgesetzes, die das DDR-Recht für das Endlager Morsleben bis 2005 hätte gelten lassen, um „die Grube aus „Kostengesichtspunkten“ möglichst lange auf Basis des alten Rechts zu betreiben“. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg gab einer Klage des BUND gegen dieses Gesetz statt.
Ein Planfeststellungsverfahren zur Stilllegung des ERAM wird mit der Prüfung der Antragsunterlagen derzeit fortgeführt. Nach dem Erörterungstermin im Herbst 2011 mit dem Antragsteller Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und Einwendern sagte BfS zu, die endgültigen Genehmigungsunterlagen dem MLU zur Prüfung vorzulegen. Zeitgleich werden vom BfS großtechnische Versuche durchgeführt, welche die in den bislang vorliegenden Planungsunterlagen zu den technischen Stilllegungsmaßnahmen getroffenen Annahmen belegen sollen. Dabei geht es zum einen um die Abdichtung der beiden Schächte mit Dichtelementen aus einem Schotter-Bitumen-Gemisch, sowie um die Abdichtung der Zugänge zu den eigentlichen Abfallkammern im Bergwerk (Streckenabdichtungen), welche aus zwei Betonarten errichtet werden sollen.
Das Prüfkonzept des MLU sieht vor, dass nach Klärung der wesentlichen Fachfragen zu den technischen Stilllegungsmaßnahmen (d.h. nach Einreichung und Prüfung der Antragsunterlagen hierzu) von den Gutachtern die abschließende Prüfung der radiologischen Langzeitsicherheitsanalyse vorgenommen wird. Neben der Prüfung durch das MLU hat auch die Entsorgungskommission (ESK) des Bundes die Unterlagen zur Langzeitsicherheit geprüft, schreibt Pressesprecher Thiel auf Anfrage von Europaticker. Im Ergebnis stellt die ESK in der veröffentlichten Stellungnahme vom 31.1.2013 fest, dass der Langzeitsicherheitsnachweis für das ERAM nach dem Stand von Wissenschaft und Technik und mit überschaubarem Aufwand machbar ist. In sechs Empfehlungen zeigt die ESK auf, wie erkannte Lücken in den bislang vorliegenden Nachweisen so zu vervollständigen sind, dass die Nachweise dem vom Atomgesetz geforderten Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.
erschienen am: 2013-06-20 im europaticker
http://www.umweltruf.de/news/111/news3.php3?nummer=13013947