Expertise zur Kippung des AVR am 23.5.15 in Jülich

Was steckt hinter dem Transport des AVR-Reaktorbehälters ?
Am 23. Mai soll der 2000 t schwere Jülicher AVR-Reaktorbehälter mit sieben Kränen in die Horizontale gelegt und anschließend mit einem Vielachsenfahrzeug in ein Zwischenlager auf dem FZJ-Gelände transportiert werden – eine weltweit bisher einmalige Aktion. Dazu hier einige Hintergrundinformationen aus kritischer Perspektive.
Zustand des Reaktorbehälters
Der Jülicher Kugelhaufenreaktor AVR ist faktisch havariert und der Reaktorbehälter enthält daher um den Faktor 100.000 bis 1 Mio mehr radioaktives Cäsium und Strontium als normale Reaktorbehälter, außerdem extrem große Mengen an langlebigem Kohlenstoff-14 (5730 Jahre Halbwertszeit). Zerlegen lässt er sich daher mit heutigen Methoden nicht und in das Endlager Schacht Konrad für mittelaktive Abfälle kann er – anders als andere Reaktorbehälter – nie hinein. Durch einen Störfall 1978 sind außerdem Boden und Grundwasser unter dem Reaktor mit hochgefährlichem Strontium verseucht. Eine unabhängige Expertengruppe hat den chaotischen AVR-Betrieb 2014 aufgearbeitet und die lange vertuschten Einzelheiten in einem Bericht dargestellt.
Transport in ein Zwischenlager
Normalerweise würde man den AVR-Behälter vor Ort einsargen und erst einmal Jahrzehnte abwarten, aber dann hätte man mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts eine offenkundige Reaktorruine wie etwa in Harrisburgh/TMI. Um Letzteres zu vermeiden, haben die Verantwortlichen vor 10 Jahren in aller Heimlichkeit einen anderen Weg beschlossen: Man nutzt dabei einige Lücken des Atomgesetzes: Wenn man den hochradioaktiven Reaktorbehälter aus dem Reaktorgelände herausschafft, gilt er nämlich als Atommüll und nicht mehr als Reaktor. Daher wird der ganze, mittlerweile mit Leichtbeton verfüllte Behälter am 23. Mai um einige hundert m verschoben und für mindestens 60 Jahre in ein schon fertiggestelltes Zwischenlager des FZJ in Billigbauweise geschafft. Mit einigen Tricks ist es sogar gelungen, den Behälter zu mittelaktivem Abfall zu erklären, der ab Einlagerung in das Jülicher Zwischenlager am 23. Mai nicht einmal mehr der ministeriellen Atomaufsicht unterliegt, sondern nur noch von der Bezirksregierung kontrolliert wird. Mit anderen Worten: Technisch ist die Reaktorruine zwar weiter vorhanden, aber rechtlich ist sie verschwunden. Dieser PR-Aspekt ist wohl der Hauptzweck der ganzen Aktion. Falls das Reaktorgelände bis 2022 – 25 von Radioaktivität wirklich gereinigt werden kann, wird es aus dem Gültigkeitsbereich des Atomgesetzes entlassen und der AVR-Rückbau wäre rechtlich beendet, die „grüne Wiese“ erreicht, obwohl die Hauptarbeit, nämlich die Zerlegung und Entsorgung des Behälters, nachfolgenden Generationen überlassen wird. Eine offensichtliche Reaktorruine hätte die intensiven Jülicher Bemühungen um Export von Kugelhaufenreaktoren (z.B. nach Südafrika) beeinträchtigt und hätte das Versagen von Betreibern und Aufsicht beim AVR-Betrieb klar dokumentiert.
Eine Entseuchung des Bodens und Grundwassers wäre höchstwahrscheinlich auch möglich gewesen, wenn der Reaktor in sicherer Weise vor Ort eingesargt worden wäre, aber das wurde nie ernsthaft geprüft.
Wie gefährlich sind Transport und Lagerung ?
Die Verantwortlichen geben an, die Strahlenbelastung durch den Transport des AVR-Behälters bleibe kleiner als bei einem innereuropäischen Flug. Das ist zwar – wenn alles planmäßig abläuft – richtig, aber es kaschiert die realen Probleme: Das radioaktive Inventar des Reaktorbehälters, das etwa dem von 2 AVR-Castoren (wie sie im Jülicher Castorenlager aufbewahrt werden) entspricht, ist nämlich vergleichsweise sehr schlecht gesichert. Der innere Reaktorbehälter ist durch die Bestrahlung stark versprödet und stellt daher kaum einen Schutz dar. Der äußere Behälter hält ebenfalls stärkeren mechanischen Belastungen nicht stand. Daher wird darauf gesetzt, dass der Leichtbeton, mit dem der Reaktorbehälter ausgegossen wurde, die radioaktiven Substanzen ausreichend zurückhält. Mit einer Verflüchtigung und Freisetzung von hochgiftigem Strontium ist aber bei Störfällen zu rechnen. Ein uns vorliegendes vertrauliches Gutachten des FZJ zum Absturz eines Militärflugzeugs auf den Behälter zeigt, dass die Störfallplanungswerte für AKW nicht eingehalten werden können, obwohl dabei optimistisch angenommen wurde, dass nur 0,05 % des radioaktiven Inventars verflüchtigt wird. Hinzu kommt, dass vor der Verfüllung mit Leichtbeton offenbar nicht ausreichend recherchiert wurde und negative französische Erfahrungen unberücksichtigt blieben: Wegen radioaktiver „Gärung“ durch Betonzersetzung musste 2014 eine Nachtragsgenehmigung erteilt werden, und mussten zusätzliche Komponenten in das Zwischenlager eingebaut werden. Das langfristige Betonverhalten ist weitgehend unbekannt und stellt daher ein kaum kalkulierbares Risiko dar.
Verglichen mit einer Lagerung im Ursprungszustand, also in einem Schutzbehälter und einem zusätzlichen dickwandigen Betonzylinder, werden sich die Lagerbedingungen im Zwischenlager, das faktisch nur einen Wetterschutz darstellt, drastisch verschlechtern. Zwar betragen die Kosten der AVR-Entsorgung trotz der gewählten Billigmethoden weit mehr als das Zehnfache von Standardreaktoren ähnlicher Größe. Trotz ausufernder Kosten erscheint es aber kaum verantwortbar, eine langfristige Lagerung des Reaktorbehälters in dem Billiglager vorzunehmen, zumal keineswegs gesichert ist, dass die Lagerzeit nur 60 Jahre betragen wird.
Resumee
Insgesamt gilt, dass sich die Sicherheit durch die ganze Aktion verschlechtert. Zusammenfassend handelt es ich also wohl um einen Versuch, einen havarierten Reaktor „verschwinden“ zu lassen – zu Lasten der Sicherheit in Jülich. Nachbesserungen am den Lagerbedingungen sind zwingend erforderlich.

Die Autoren sind dem Anti_Atom Plenum bekannt.

Wir stimmen auch diesen Argumenten gegen die Kippung des AVR Reaktors zu und fordern den sofortigen Stopp der Kippung und des Transportes des AVR Reaktors in die unsichere Lagerhalle!

Schreibe einen Kommentar